Die bisher größte politische Veranstaltung im Backsteinbau
Ein Frühschoppen kann ganz unterschiedlicher Natur sein. Solch einen, wie der CDU-Stadtverband Sulz ihn zum Sonntagvormittag um elf Uhr in der Stadthalle im Backsteinbau anbot, gibt es dann doch höchst selten.
Nicht nur, dass die Stadtmusik aufspielte. Nicht nur dass es Weißwürste gab. Und auch rote.
Dazu hätte dann eventuell tatsächlich das Foyer der Halle ausgereicht. Der wahre Grund – und darum waren es deutlich mehr als 300 Gäste, war, dass mit Wolfgang Bosbach einer der profiliertesten, bekanntesten und beliebtesten deutschen Politiker erwartet wurde. Und zwar so sehr, dass der Vorhang, der anfangs die Halle noch etwas eingeschränkt hatte, auch noch geöffnet werden musste.
Wolfgang Bosbach, der „Rebell“? „Also, ich war Ministrant, habe treu und brav … ich ein Rebell? Nur weil ich meine Meinung beibehalte?“ Authentisch und immer wieder mit seiner leicht spitzbübisch veranlagten Attitüde, so trug der 63-jährige Christdemokrat aus dem Bergischen Land seine Überzeugungen vor. Genau zwei Tage bevor er das wichtige Amt des Innenausschussvorsitzenden verlor oder abgab, wie man will. Von seinem Rückgrat sprach er in dem Zusammenhang. Und vom dicken Fell. Und es war zu spüren: es geht an einem so in sich ruhenden, von festen Grundsätzen aus agierenden Menschen nichts spurlos vorüber.
Die bei dem bekennenden Fan des 1. FC Köln und genauso großen Karnevalisten geradezu manifeste Fröhlichkeit des Rheinländers verkörpert die gleiche Seite wie die des von seiner Botschaft und seiner Überzeugung tief durchdrungenen Politikers.
Nach der Begrüßung durch den CDU-Stadtverbandsvorsitzenden Tobias Bronner und dem Grußwort von Stefan Teufel, dem Landtagsabgeordneten und CDU-Kreisvorsitzenden bekannte Bosbach erst einmal, dass dies sein erster Besuch in Sulz am Neckar war. Womit das Eis, falls vorhanden, gebrochen war. Viele waren in der Halle, die wohl üblicherweise zu keiner politischen Veranstaltung gehen. Umso mehr brach der Politiker, der wie wenige andere es vermag, Brücken zu schlagen zwischen den eher Politdifferenten und den Mandatsträgern, eine Lanze für den Politbereich. Ohne zu kokettieren, ohne jemandem nach dem Mund zu reden.
„Es müsste mehr Bosbachs geben“, so sprach in der Diskussion der erste Debattenredner, kurz und die Stimmung treffend.
Wunschdenken? Für all die vielen, die da waren, war es auf jeden Fall ein Genuss zuzuhören und ein Gewinn, den Gedankengängen zu folgen. Sowohl zu der Thematik, die dem Abgeordneten aus dem Rheinisch-Bergischen Kreis das Amt des Ausschussvorsitzenden kostet, der Griechenlandrettung, wie auch zur Flüchtlingsproblematik. Letztere hat innerhalb kürzester Zeit Griechenland als Krisenthema abgelöst. Selbst am Tag der neuerlichen Hellas-Wahl drehten sich alle Fragen nur noch um die Bewältigung der Flüchtlingsfrage. So schnell kann’s gehen; doch die Darstellung des gesamten Komplexes – von den Umständen in den Krisenländern bis zu den bald nicht mehr zu bewältigenden Aufgaben im eigenen Land und die schonungslose Offenheit, mit der Bosbach andeutete, dass das Ende der Entwicklung noch lange nicht abzusehen ist – ließ nahezu jedem den Atem stocken. Gerade auch durch die so nüchterne Beschreibung. Mit ihr zeigte der Unionsmann, dass es möglich und vor allem auch notwendig ist, Maß und Mitte zu finden und zu halten. Zwischen den Rändern: die einen, die als Rechtsradikale und Extremisten sich außerhalb jeglicher Diskussion stellen und die anderen, die vor lauter Willkommenskultureventverhaltens nicht dran denken, was dann sein wird, wenn „der letzte Luftballon mal in den Himmel geflogen sein wird.“
Es war keine leichte Kost, die Wolfgang Bosbach den Gästen im Backsteinbau vorsetzte, trotz aller Eloquenz seines Vortrages und seiner immer wieder eingestreuten Bonmots. Die aber spürten genau dieses, die gesamte Brisanz, die hinter allem steckt. Und schließlich tat es dann auch gut zu hören, dass es schon ein Segen ist, in Deutschland leben zu dürfen. Und er rief dazu auf, den 25. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung – zwei Wochen nach der Veranstaltung in Sulz – zu feiern. Dass es dieses Aufrufs überhaupt braucht? „Wir Deutschen müssen es in der DNA haben, dass uns das Feiern so schwer fällt …“
Vielleicht gerade auch den Schwaben. Dabei können auch die stolz sein auf Erreichtes. Und nicht wenige von ihnen sangen oder summten mehr oder weniger leise das „Württemberg-Lied“ mit, das die Stadtkapelle nach dem Eintreffen von Wolfgang Bosbach intonierte. Wenn das alles nicht optimistisch stimmt!
Der Riesenbeifall für den Gast aus dem Rheinland ließ erahnen, machte vielleicht sogar deutlich: die Botschaft kam an. Auch wie nach dem Schlusswort durch Tobias Bronner und dem Überreichen eines „süßen Geschenkes aus Sulzer Produktion“ durch David Kerner so viele Gäste nach vorne stürmten, das Foto-Handy zückten, mit Bosbach ein paar Worte wechseln wollten. Und konnten.
Dann jedoch, auch nach einem Zeitungsinterview draußen im Foyer, war Zeit zum Aufbruch. Wenn auch nicht per Zug, wie angedacht, sondern per PKW zu Flughafen nach Stuttgart und von dort nach Wien zum Österreichischen Fernsehen, wo der viel gefragte Politiker am Abend seinen Auftritt hatte. „Obwohl ich doch eigentlich medienscheu bin“, wie er einräumte. Es war dies wohl der einzige Satz während dieser gesamten Frühschoppenveranstaltung, deren Wahrheitsgehalt man mit Fug und Recht anzweifeln kann. Man sah es an den schmunzelnden Minen der Besucher. Von denen verließen viele das Backsteingebäude nur sehr zögernd verließen; zu tief waren die Eindrücke, zu groß war noch der Gesprächsbedarf, um nach solch einem Vormittag einfach zur Tagesordnung überzugehen.
Draußen schien die Herbstsonne. Doch alleine die Aussage von Bosbach, dass bisher lediglich etwa zehn bis zwanzig Prozent der Flüchtlinge aus den Lagern rund um Syrien sich aufgemacht haben, ließ erahnen, was es bedeutet, wenn er sagte: „Dies ist die größte Herausforderung für unser Land seit der Wiedervereinigung.“
Und ein Frühschoppen kann so aufrüttelnd wirken und nachdenklich zugleich. Und niveauvoll. Wie jeder Satz von Wolfgang Bosbach