Mit den aktuellen Herausforderungen wächst die Unsicherheit in der Bevölkerung. Der ehemalige Bundesfinanzminister Theo Waigel hat schon viele Krisen miterlebt. Am Montag war er zu Gast in Vöhringen.
Der CSU-Politiker Theo Waigel spricht gestern Abend in Vöhringen vor zahlreichen interessierten Zuhörern. Foto: Bienger Der CDU-Ortsverband Vöhringen-Wittershausen hat sich mächtig ins Zeug gelegt, um dem ehemaligen Bundesfinanzminister gebührend in der Turn- und Festhalle Vöhringen zu empfangen. Auf den Tischen stehen Blumentöpfe, geschmückt mit CDU-Fähnchen, an den Wänden hängen Wahlplakate mit dem Konterfei von Stefan Teufel und Guido Wolf. Ersterer ist als Landtagsabgeordneter des Landkreises Rottweil persönlich anwesend. Es gibt Weißbier, Wurstwecken und Gulaschsuppe, und die Bochinger Schantlekapelle spielt bayrische Volksmusik.
Diese zünftige Oktoberfest-Atmosphäre dürfte Theo Waigel gefallen haben. Der CSU-Mann mit den markanten Augenbrauen ist extra aus seiner bayrischen Heimat angereist, um mit den örtlichen CDU-Mitgliedern und Bürgern über das aktuelle Weltgeschehen zu diskutieren. Mit im Gepäck hat er die Erfahrung eines Politikers, der 30 Jahre lang im Deutschen Bundestag gesessen und als solcher schon so einiges gesehen und erlebt hat.
Dass er eine Menge erlebt hat, wird allein schon in der Art und Weise deutlich, mit der Waigel spricht. Er analysiert die "Herausforderungen in Deutschland und Europa" nüchtern und mit Distanz, holt zum Teil sehr weit aus, um die Zusammenhänge zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu veranschaulichen.
Aktuellstes Beispiel: die Flüchtlingskrise. Waigel, Jahrgang 1939, hat den Zweiten Weltkrieg und dessen Folgen hautnah miterlebt. Umso energischer wehrt er sich, wie er selbst betont, gegen eine Verherrlichung und Schönfärberei der Vergangenheit: "Es soll mir nur niemand mit der "guten alten Zeit‹ kommen", ruft er – und erzählt von 15 Millionen Deutschen, die nach dem Krieg auf der Flucht waren und aufgenommen werden mussten, und von weiteren 17 Millionen 45 Jahre später, als Deutschland mit neuen Menschenmassen und mit den Kosten der Wiedervereinigung fertig werden musste. Dennoch habe man alle Kosten und Mühen gestemmt. Man dürfe nicht nur an die Zahlen denken, lautet die Botschaft, sondern an die Zukunft Europas. Das gelte sowohl für die Euro-Krise als auch für die aktuelle Flüchtlingsproblematik.
Obwohl Theo Waigel an diesem Abend sowohl über Griechenland als auch über den IS-Terrorismus und die Flüchtlingsströme spricht, wird das Interesse der Zuhörer vor allem vom letzteren Thema beherrscht. Applaus erntet er vor allem dann, als er sagt, dass diejenigen Menschen, die nach Deutschland kommen, sich an die im Land geltenden Gesetze und Normen halten müssten. Dabei scheut erauch nicht, das viel gescholtene Wort "Leitkultur" in den Mund zu nehmen. Für ihn ist das "die Bekenntnis zu unserer jüdisch-christlichen Geschichte", die die Aufklärung durchlaufen habe – "ein Weg, den der Islam bisher nicht gegangen ist". Die Worte von Bundeskanzlerin Angela Merkel ("Wir schaffen das") würde er deshalb dringend ergänzen: "Wir schaffen das, aber wie, mit wem, wo und wann?", fragt Waigel.
Die Antworten müsse man in der gesamten EU und auch in der arabischen Welt suchen. "Solidarität" laute das Stichwort, und gleichzeitig müsse man direkt in den Krisengebieten selbst mit der Lösung des Problems beginnen. Wie? "Natürlich nicht mit Bodentruppen" – zumindest nicht mit deutschen, sagt er. Stattdessen müsse man diejenigen unterstützen, die bereits an vorderster Front kämpfen, etwa die Kurden. Andererseits müsse man Frankreich unbedingt im Kampf gegen den Terror unterstützen. Mit welchen Mitteln – die Antwort darauf bleibt er schuldig.
Nein, die Probleme Deutschlands und Europas kann auch ein Theo Waigel nicht lösen, das wurde gestern Abend klar. Dennoch hat er den Zuhörern viele wichtige Impulse mit auf den Weg gegeben. Der wichtigste lautet vielleicht, dass es – ganz gleich, ob in der Finanz- oder Flüchtlingspolitik – Regeln gibt. Nur die Gewissheit, dass diese Regeln eingehalten werden, schafften Vertrauen unter den EU-Mitgliedsstaaten und damit Stabilität und Sicherheit.